Es ist berechtigt zu fragen, ob Deutschland, insbesondere unter der kommenden Koalitionsregierung, noch bereit ist, seine Versprechen zu erfüllen, Menschen aus Afghanistan Schutz zu gewähren, die aufgrund der radikalen Taliban-Herrschaft besonders gefährdet sind.
Sebastian Fischer, Sprecher der scheidenden Außenministerin Annalena Baerbock, wies Berichte zurück, dass zwei Flüge mit Evakuierten, darunter ehemalige lokale Mitarbeiter der deutschen Armee, bald in Deutschland eintreffen würden. Fischer bestreitet frühere Berichte von verschiedenen Medien und erklärte: “Ich kann nicht bestätigen, dass zwei Flüge geplant sind.”
Er fügte hinzu: “Die Planung solcher Flüge ist äußerst komplex, aber laut den neuesten Informationen ist in den nächsten zwei Wochen kein Flug zur Aufnahme von besonders gefährdeten Afghanen geplant.”
Nach der Machtübernahme der Taliban hatte Deutschland versprochen, denen, deren Leben in Gefahr war, die Möglichkeit zu geben, mit ihren Familien nach Deutschland zu kommen. Die Bundeswehr hatte Afghanistan Ende Juni verlassen, nachdem ihre Truppen jahrelang versucht hatten, in Zusammenarbeit mit anderen westlichen Verbündeten Stabilität zu gewährleisten.
Die neuen Taliban-Herrscher hatten besonders ein Auge auf sogenannte lokale Mitarbeiter geworfen, darunter Übersetzer und Techniker, die für die deutsche Armee gearbeitet hatten. Aber auch Personen, die in kulturellen, wissenschaftlichen oder akademischen Bereichen tätig waren, und solche, die für die ehemalige Regierung gearbeitet hatten, wurden verfolgt.
36.300 Afghanen unter Sonderprogrammen nach Deutschland geholt
Laut dem Auswärtigen Amt sind bisher etwa 36.300 Afghanen unter diesen Programmen nach Deutschland gekommen, darunter fast 20.800 lokal beschäftigte Mitarbeiter. Doch rund 2.600 warten immer noch in Islamabad, Pakistan, da Deutschland keine diplomatische Vertretung mehr in Afghanistan hat.
In Pakistan leben sie in Gästeappartements der deutschen Regierung, während sie sich durch scheinbar endlose Visa- und Sicherheitsprüfungen kämpfen. Ihre Zukunft bleibt unsicher, obwohl ihnen von den deutschen Behörden fest zugesagt wurde, dass sie nach Deutschland kommen dürfen.
Khadija Salehi, eine ehemalige Staatsanwältin, ist eine von ihnen. “Wir danken Deutschland für die finanzielle Unterstützung, Unterkunft und Verpflegung”, sagte sie gegenüber DW. “Aber natürlich gibt es viele Probleme. Ein Beispiel ist die Unsicherheit über die Zukunft unserer Kinder und unsere eigene Zukunft. Ich bin seit fast 17 Monaten in einer prekären Lage.”
Sie fügte hinzu: “Wir, meine Freunde und ich, warten seit mehr als zwei Jahren auf Klarheit über unsere Situation. Alle, die an diesem Prozess beteiligt sind, sind Menschen, deren Leben in Afghanistan in Gefahr ist.”
Dieser Eindruck wurde von Fischer, dem Sprecher des Auswärtigen Amts, bestätigt. Er wies darauf hin, dass viele der Menschen, die in Pakistan festsitzen, nach der Zusage Deutschlands ihre gesamte Habe verkauft und Afghanistan verlassen haben. “Diese Menschen haben ein Recht auf Schutz ihrer berechtigten Erwartungen”, sagte er.
Debatte in Deutschland über die Haltung der neuen Koalition
In Deutschland entbrannte eine hitzige Debatte über das Schicksal dieser Menschen, als die neue Koalition gebildet wurde. In ihrem Koalitionsvertrag erklärten die konservativen Christlich Demokratischen Union (CDU), die Christlich-Soziale Union (CSU) und auch die Sozialdemokraten (SPD), dass die Aufnahmeprogramme, einschließlich des Programms für besonders gefährdete Afghanen, “so weit wie möglich” eingestellt werden sollen.
Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU, erklärte, dass der neue Bundesinnenminister die betroffenen Fälle einzeln prüfen werde. Er sagte, man werde untersuchen, welche Zusagen an gefährdete Afghanen zurückgenommen werden könnten.
Die kurze Wahlkampagne zu Beginn des Jahres war teilweise von mehreren Morden beeinflusst, die teilweise Asylbewerbern aus Afghanistan zugeschrieben wurden. Angesichts dieser Angriffe drängten besonders konservative Politiker von CDU und CSU auf eine neue, deutlich restriktivere Asyl- und Migrationspolitik.
Ralf Stegner, der außenpolitische Sprecher der SPD, der zukünftige Juniorpartner der Koalition, sagte jedoch: “Versprechen sind Versprechen.” Er erklärte der Rheinischen Post, dass der Rückzug von Versprechungen zur Aufnahme in Deutschland “kein Weg sei, den Deutschland einschlagen könne”.
Vor nur etwa zehn Tagen landete ein Flugzeug mit 138 Afghanen, denen solche Versprechen gegeben worden waren, in der ostdeutschen Stadt Leipzig. Deutschlands größte Boulevardzeitung, Bild, berichtete, dass nur 4.800 der 36.300 Afghanen in Deutschland einer vollständigen Sicherheitsüberprüfung unterzogen worden waren—eine Zahl, die vom Innenministerium bestätigt wurde.
Sicherheitsbedenken
Sicherheitsbedenken haben bereits Zweifel an den Aufnahmeprogrammen aufgeworfen, besonders bei konservativen Politikern. Fischer betonte jedoch, dass niemand ohne Sicherheitsüberprüfung nach Deutschland gekommen sei, räumte jedoch ein, dass diese Prüfungen seit 2021 strenger geworden seien.
Hilfsorganisationen warnen vor Streichung
Eva Beyer von der Hil
fsorganisation Kabul Luftbrücke warnt, dass Deutschland sein internationales Vertrauen verlieren werde, wenn es keine weiteren Menschen aus Afghanistan aufnimmt. Sie sagte gegenüber DW: “Die deutschen Missionen weltweit—ob humanitär, wirtschaftlich oder militärisch—funktionieren nicht ohne die Hilfe lokaler Mitarbeiter. Was wir jetzt sehen, ist, dass Menschen, die unsere Bemühungen unterstützt haben, im Stich gelassen werden.”
Auch andere Menschenrechtsorganisationen haben davor gewarnt, die Aufnahmeprogramme vollständig zu beenden.