Am Osterwochenende sind in ganz Deutschland rund 120 Friedensmärsche geplant. Zehntausende Menschen werden erwartet, um ein Zeichen gegen Krieg und Aufrüstung zu setzen. Diese traditionellen Proteste finden in einer angespannten Zeit statt: Die voraussichtlich nächste Bundesregierung unter CDU-Chef Friedrich Merz plant massive Investitionen in die Verteidigung. Unter anderem soll die Bundeswehr bis 2031 von 83.000 auf 203.000 Soldaten wachsen – mithilfe eines neuen freiwilligen Wehrdienstprogramms.
Die deutsche Bevölkerung ist beim Thema Krieg und Frieden gespalten. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und NTV befürchten 54 % der Deutschen, dass das Land in den Ukrainekrieg hineingezogen werden könnte. Dennoch wären nur etwa 17 % der Befragten bereit, selbst für ihr Land zu kämpfen. Diese Diskrepanz unterstreicht das Spannungsfeld zwischen militärischer Aufrüstung und gesellschaftlicher Zurückhaltung gegenüber Gewalt.
Die diesjährigen Ostermärsche sind thematisch breit gefächert: Jede Demonstration setzt eigene Schwerpunkte in Bezug auf internationale Konflikte. Dennoch gibt es zentrale gemeinsame Forderungen: ein Ende der übermäßigen Aufrüstung in Deutschland und Europa, intensivere diplomatische Bemühungen – vor allem zur Beilegung der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen –, weltweite nukleare Abrüstung und der Widerstand gegen Mittelstreckenraketen in Europa.
Kristian Golla vom Netzwerk der deutschen Friedensbewegung betont die Notwendigkeit, Alternativen zur militärischen Eskalation aufzuzeigen. „Es geht nicht nur um Aufrüstung“, sagte er der DW. Er bezweifelt, dass Russland nach der Ukraine wirklich ganz Westeuropa besetzen würde. Außerdem betont Golla, dass die Friedensbewegung nicht rein pazifistisch sei. „Nicht alle lehnen Gewalt grundsätzlich ab. Unser Ziel ist es, Konflikte zu verstehen und Wege zu ihrer Lösung jenseits militärischer Mittel zu finden.“
Der Philosophieprofessor Olaf Müller von der Humboldt-Universität spricht von einer demoralisierten Friedensbewegung. „Sie ist so schwach wie seit Jahrzehnten nicht mehr“, sagt er. Wer heute gegen Militarismus auf die Straße geht, werde schnell als Putin-Versteher abgestempelt – eine große Hürde für engagierte Bürger.
Zum Vergleich: 1983 unterschrieben vier Millionen Westdeutsche den „Krefelder Appell“ gegen US-Raketen. Heute wird nur ein Bruchteil dieser Zahl an den Ostermärschen teilnehmen. Die Angst vor Krieg wächst, nicht zuletzt wegen unsicherer Signale aus den USA und Sorgen über die Stabilität des NATO-Bündnisses.
Für die Soziologin Annette Ohme-Reinicke hat sich der gesellschaftliche Fokus verschoben. Seit dem Ende des Kalten Kriegs bestimmen soziale Themen wie Inflation, steigende Mieten und Existenzsicherung das Denken. Gleichzeitig schwächt ein neoliberales, individualistisches Gesellschaftsmodell kollektive Bewegungen. „Es ist nicht mehr wie in den 60er oder 70er Jahren“, erklärt sie. Angst und Polarisierung treiben Menschen eher zur Entscheidung zwischen Lagern als zum Engagement für Frieden.
Erschwert wird dies durch die AfD, die mittlerweile ebenfalls pazifistisch gegenüber Russland auftritt. Viele Friedensaktivisten möchten sich jedoch nicht mit der politischen Rechten identifizieren.
Trotz aller Herausforderungen sehen Wissenschaftler wie Klaus Schlichte und Stephan Hensell die Friedensforschung als wichtiger denn je. In der Frankfurter Rundschau schreiben sie, dass ein neuer Abrüstungsprozess dringend nötig sei. „Die leichtfertig erteilte Blankovollmacht für Waffenlieferungen sollte Anlass genug sein, endlich über echte Lösungen nachzudenken. Das ist die historische Aufgabe der Friedensforschung.“