Vergessene Geiseln Das Schicksal entführter deutscher Staatsbürger im Ausland

Vergessene Geiseln? Das Schicksal entführter deutscher Staatsbürger im Ausland

Vor fast sieben Jahren wurde Sonja N., eine deutsche Krankenschwester im Einsatz für das Internationale Rote Kreuz, in Somalia von bewaffneten Männern verschleppt. Kürzlich tauchte ein Video auf, in dem sie die Bundesregierung und ihre Familie eindringlich um Hilfe bittet – ihr Gesundheitszustand verschlechtere sich rapide. Doch Sonja ist kein Einzelfall: Schätzungen zufolge wurden in den letzten Jahrzehnten Hunderte Deutsche im Ausland entführt.

Genaue Zahlen fehlen, die aktuellsten stammen aus dem Jahr 2019. Damals meldete die Bundesregierung 143 Entführungsfälle in 37 Ländern zwischen 2010 und 2019 – am häufigsten in Nigeria, gefolgt von Afghanistan, Mexiko, Syrien und Senegal.

Reaktion der Bundesregierung

Bei einer Entführung wird im Auswärtigen Amt ein Krisenstab eingerichtet. Dieser koordiniert die Zusammenarbeit mit Botschaften, Nachrichtendiensten und Vermittlern. Jürgen Chrobog, der diesen Stab von 2003 bis 2005 leitete, erklärt: „Zunächst muss Vertrauen zu Vermittlern aufgebaut und herausgefunden werden, was passiert ist und welche Forderungen bestehen.“ Er war unter anderem an der Befreiung mehrerer deutscher Touristen beteiligt, die 2003 in Algerien und Mali entführt wurden. Alle, bis auf eine Geisel, die an einem Hitzschlag starb, wurden befreit.

Kurioserweise wurde Chrobog selbst 2005 nach seiner Pensionierung mit seiner Familie im Jemen entführt – ein interner Stammeskonflikt, der glücklicherweise rasch gelöst wurde.

Wenn gewöhnliche Menschen zu Geiseln werden

Meist sind es keine Diplomaten, sondern Krankenschwestern, Geistliche, Helfer oder Touristen, die entführt werden. Im Jahr 2000 wurde die deutsche Familie Wallert in Malaysia während des Osterurlaubs entführt und von Rebellen auf die philippinische Insel Jolo verschleppt. Die Entführer ließen Journalisten zu den Geiseln, was den Fall deutschlandweit bekannt machte.

Manche ehemalige Geiseln berichten nach ihrer Freilassung von ihren Erfahrungen – oft die einzige Möglichkeit, von Fällen zu erfahren, da das Auswärtige Amt strikte Vertraulichkeit wahrt. Einer dieser Fälle ist der katholische Priester Hans-Joachim Lohre, der 2022 in Mali entführt wurde. Nach fast einem Jahr kam er frei. „Es dauerte keine zehn Sekunden – ich wurde von hinten gepackt und ins Auto gezerrt“, erinnert er sich. Er fand Trost im Gebet und suchte das Gespräch mit seinen Entführern über Religion.

Staatliche Täter und stille Diplomatie

Neben nichtstaatlichen Akteuren wie Stammesmilizen oder Extremistengruppen sind mitunter auch Regierungen verantwortlich. So hat der Iran wiederholt deutsche Staatsbürger festgenommen – wie Jamshid Sharmahd, der aus Dubai entführt und vier Jahre lang im Iran inhaftiert wurde, bevor er 2024 starb.

Andere Fälle endeten glücklicher, etwa jener von Nahid Taghavi, die im Januar 2025 nach Jahren in iranischer Haft freikam. Ihre Tochter Mariam Claren kämpfte öffentlich für ihre Freilassung – auch mit Unterstützung der NGO Hawar. „Öffentlichkeit schützt“, sagt Claren. Ihre Mutter erhielt durch den Druck besseren Zugang zu Medikamenten und verbesserte Haftbedingungen.

Obwohl Claren die Unterstützung des Auswärtigen Amtes schätzt, kritisiert sie das Prinzip der „stillen Diplomatie“: „Die USA haben einen Sonderbeauftragten für Geiseln. In Frankreich wird offen über solche Fälle gesprochen.“ Die Freilassung ihrer Mutter habe gezeigt, dass auch öffentliche Aufmerksamkeit Wirkung zeige.

Das Video von Sonja N. habe sie tief bewegt, sagt Claren: „Wäre das meine Mutter, würde ich alles mobilisieren.“ Es sei wichtig, dass solche Fälle nicht in Vergessenheit geraten.