Der Gazastreifen erlebt eine der schwersten humanitären Katastrophen der letzten Jahrzehnte. Seit der Eskalation des Konflikts Ende 2023 hat sich die Lage rapide verschlechtert. Mehr als 3,3 Millionen Menschen benötigen dringend humanitäre Hilfe. Nahezu 1,9 Millionen Menschen – rund 90 % der Bevölkerung – sind intern vertrieben und kämpfen ums Überleben ohne ausreichende Nahrung, medizinische Versorgung oder Schutz.
Kinder sind besonders stark betroffen. Über 1,55 Millionen Kinder benötigen Unterstützung, während 534 Schulen zerstört oder beschädigt wurden. Hunderttausende sind dadurch vom Schulunterricht ausgeschlossen. Laut UNICEF erhielten allein im Jahr 2025 über 181.000 Kinder Geldtransfers, was das Ausmaß der Not verdeutlicht.
Die ohnehin schwierige Lage wird durch eine nahezu vollständige Blockade verschärft, die den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten erheblich einschränkt. Internationale medizinische Einsatzteams berichten von einer Einreiseverweigerungsrate von 44 %, was lebenswichtige Hilfe zusätzlich behindert.
Deutschlands und Österreichs diplomatischer Einsatz für humanitären Zugang
Forderung nach sofortiger und erweiterter Hilfe
Im Juli 2025 forderten der deutsche Außenminister Johann Wadephul und seine österreichische Amtskollegin Beate Meinl-Reisinger gemeinsam von Israel, den humanitären Zugang nach Gaza zu erweitern. Nach einem trilateralen Treffen mit dem israelischen Außenminister in Wien betonten sie die Dringlichkeit, Hunger und Tod zu verhindern.
Wadephul erklärte:
„Menschen sterben, weil sie versuchen, an Hilfsgüter zu kommen. Kinder verhungern. Das geht uns alle an.“
Beide Minister betonten, dass das humanitäre Völkerrecht nicht verhandelbar sei und Hilfslieferungen schnell, ausreichend und sicher erfolgen müssen.
Meinl-Reisinger betonte, dass ein Waffenstillstand und politische Perspektiven für die Palästinenser unabdingbar seien. Sie äußerte sich besorgt über Berichte zu Umsiedlungsplänen und einer möglichen dauerhaften Besetzung Gazas und stellte klar: „Gaza muss palästinensisch bleiben.“
Deutschlands humanitäre Initiativen
Deutschland hat seine Hilfe sowohl logistisch als auch finanziell ausgeweitet. Bundeskanzler Olaf Scholz rief zu einer massiven Ausweitung der humanitären Unterstützung auf. Das Verteidigungsministerium genehmigte Hilfslieferungen per Luftabwurf durch die Luftwaffe, um dringend benötigte Nahrungsmittel und Medikamente in schwer erreichbare Gebiete zu bringen.
Diese Maßnahmen sind Teil von Deutschlands Strategie, einerseits Israels legitime Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen und andererseits die zivilen Opfer in Gaza nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Hilfsprogramme konzentrieren sich auf Ernährungssicherheit, medizinische Versorgung, Notunterkünfte und Trinkwasseraufbereitung.
Umfang der geleisteten Hilfe und bestehende Hürden
Hilfe seit Beginn der Eskalation
Zwischen Oktober 2023 und Mitte 2025 wurden mehr als 1,3 Millionen Tonnen humanitäre Güter nach Gaza geliefert. Darunter befanden sich über 1 Million Tonnen Lebensmittel, 53.000 Tonnen Trinkwasser, 30.000 Tonnen medizinische Ausrüstung und über 100.000 Tonnen Materialien für Notunterkünfte.
Auch Kraftstoffe sind entscheidend. Bisher gelangten 26,3 Millionen Liter Treibstoff sowie 22.000 Tonnen Kochgas nach Gaza. Der Großteil der Hilfsgüter passierte israelische Grenzübergänge; über 66.000 Lkw transportierten die Lieferungen. Weitere Luftabwürfe erfolgten durch die USA, Frankreich, Belgien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien.
Hindernisse beim Zugang
Trotz dieser Lieferungen ist der Zugang weiterhin unregelmäßig. Im März 2025 führte ein zehntägiger Lieferstopp zu schweren Einbußen bei Hilfsorganisationen. Israels Sicherheitskontrollen sind streng, um eine Umleitung von Gütern an Hamas zu verhindern. Kritiker bemängeln jedoch, dass diese Maßnahmen zu gravierenden Versorgungsengpässen führen.
Berichten zufolge beschlagnahmt Hamas regelmäßig Hilfslieferungen, nutzt sie für eigene Zwecke oder verkauft sie weiter. Diese Praxis untergräbt die humanitären Bemühungen und sorgt international für Misstrauen gegenüber der Hilfsverteilung.
Die menschlichen Folgen: Opferzahlen, Hunger und Vertreibung
Die menschlichen Verluste sind verheerend. Seit Oktober 2023 starben über 57.700 Palästinenser, die Mehrheit davon Frauen und Kinder. Mehr als 100.000 Menschen wurden verletzt. Die Blockade und die militärischen Angriffe haben 85 % der Bevölkerung vertrieben.
Rund 60 % der Infrastruktur – darunter Krankenhäuser, Schulen, Straßen und Wohnhäuser – wurden zerstört oder beschädigt. Das palästinensische Gesundheitsministerium meldet mindestens 27 Todesfälle durch Unterernährung und Dehydrierung. Die Vereinten Nationen warnen vor einer drohenden Hungersnot, insbesondere bei Kindern.
UNICEF dokumentiert steigende Zahlen unterernährter Kinder mit unbehandelten Infektionen und psychischen Traumata. Die seelischen und körperlichen Folgen werden die Bevölkerung über Generationen hinweg prägen.
Israels Position und sicherheitspolitische Bedenken
Israel betont, dass jede Hilfslieferung strengen Kontrollen unterliegt, um eine militärische Nutzung durch Hamas auszuschließen. Regierungsvertreter signalisierten, dass man zu einer Ausweitung des Hilfskorridors bereit sei, sofern die Sicherheit gewährleistet sei und Fortschritte bei der Geiselverhandlung erzielt würden.
Trotz der Konfliktsituation stellt Israel weiterhin Wasser und Strom für Gaza bereit. Gleichzeitig sieht sich das Land internationaler Kritik und einem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof wegen mutmaßlicher Völkerrechtsverstöße gegenüber. Die israelische Regierung weist die Vorwürfe zurück und betont, dass die Angriffe ausschließlich Hamas-Strukturen gelten.
Internationale und regionale diplomatische Bemühungen
Ein aktuelles Abkommen zwischen Israel und der Europäischen Union, vorgestellt von EU-Außenbeauftragter Kaja Kallas, sieht eine Ausweitung der humanitären Hilfslieferungen über mehrere Grenzübergänge, darunter auch via Ägypten und Jordanien, vor. Es umfasst die Wiedereröffnung von Bäckereien, die Reparatur wichtiger Infrastruktur sowie Maßnahmen zur Trinkwasserversorgung.
Deutschlands und Österreichs Forderungen fügen sich in diese EU-Strategie ein, die auf eine verbesserte humanitäre Versorgung ohne sicherheitspolitische Zugeständnisse abzielt.
Stimmen aus dem Krisengebiet
Außenminister Johann Wadephul betonte mehrfach die Dringlichkeit der Lage:
„Die humanitäre Situation muss für diese hungernden und sterbenden Menschen dringend und schnell verbessert werden.“
Seine österreichische Kollegin Meinl-Reisinger erklärte, dass ein Waffenstillstand sowie eine tragfähige politische Lösung unabdingbar seien.
Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Palästina, Muhannad Hadi, bezeichnete die Hilfe als „Lebensader für Millionen Menschen in unvorstellbaren Zuständen“. UNICEF forderte gezielte Programme für Ernährung, Traumabehandlung und Bildungszugang, um insbesondere Kinder zu schützen.
Das schwierige Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Menschlichkeit
Die Krise in Gaza verdeutlicht eine der größten Herausforderungen internationaler humanitärer Hilfe: Hilfe effektiv zu leisten, ohne militante Gruppen zu stärken. Israels Sicherheitsbedenken sind legitim, doch übermäßige Einschränkungen verschärfen das Leid der Zivilbevölkerung.
Deutschland und Österreich versuchen, diesen Balanceakt zu meistern. Sie bestehen auf völkerrechtlich garantierter Hilfeleistung, fordern gleichzeitig Transparenz und Effizienz in der Verteilung. Dabei geht es nicht um politische Anerkennung, sondern um die Wahrung menschlicher Würde.
Internationale Partner und Organisationen befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen operativer Sicherheit und moralischer Verantwortung.
Der Weg nach vorn: Hilfe, Diplomatie und Frieden
Die humanitäre Krise in Gaza erfordert entschlossene internationale Maßnahmen. Neben sofortiger Hilfe ist eine nachhaltige diplomatische Lösung notwendig – inklusive Waffenstillstand und politischen Perspektiven. Eine Wiederbelebung der Zwei-Staaten-Lösung könnte langfristige Stabilität ermöglichen.
Der gemeinsame Einsatz Deutschlands und Österreichs zeigt, dass Europa nicht nur Zahler, sondern auch politischer Akteur sein muss. Die Krise in Gaza ist keine regionale Angelegenheit, sondern ein Prüfstein für globale Solidarität.
Ob die nun verstärkten Hilfslieferungen die Not lindern oder an politischen und sicherheitspolitischen Hürden scheitern, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Die Welt blickt auf Gaza – und darauf, ob Mitgefühl und Diplomatie gemeinsam eine Zukunft schaffen können.
Außenminister Johann Wadephul äußerte sich ausführlich in einem Interview mit Deutsche Welle zu den dringend benötigten Hilfen und diplomatischen Lösungen.
The Netherlands, together with the UK, Germany, France and 15 other countries, calls on Israel to allow immediate, unhindered and unconditional humanitarian access by the UN and other aid organisations to the Gaza Strip. Life-saving assistance must never be politicised. 1/3 pic.twitter.com/MAmxe3FpLz
— Caspar Veldkamp (@ministerBZ) May 19, 2025