Germany’s Military Readiness Gap and the Complexities of Reintroducing Conscription

Deutschlands militärische Einsatzbereitschaftslücke und die Komplexität der Wiedereinführung der Wehrpflicht

Die militärische Einsatzbereitschaft Deutschlands bleibt 2025 deutlich hinter den Erwartungen der NATO und den eigenen Zielen zurück. Aktuell zählt die Bundeswehr rund 181.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, plant jedoch bis Anfang der 2030er Jahre eine Aufstockung auf etwa 260.000 Kräfte, um ihren Bündnisverpflichtungen gerecht zu werden. Verteidigungsexperten sprechen von einem prekären Zustand, da lediglich etwa die Hälfte der Einheiten als einsatzbereit gilt. Besonders in Bereichen wie Luftverteidigung, Artillerie und Personal bestehen erhebliche Defizite.

Trotz gestiegener Verteidigungsausgaben und Modernisierungsvorhaben seit 2022 behindern ein veraltetes Beschaffungssystem, Lieferengpässe und Infrastrukturprobleme die Einsatzbereitschaft. Das Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz, bis 2025 und 2027 zwei voll ausgerüstete Divisionen der NATO bereitzustellen, gerät ins Wanken – aktuell ist die zweite Division lediglich zu 20 Prozent ausgerüstet.

Besonders kritisch ist der Mangel an Kurzstrecken-Luftabwehrsystemen und bewaffneten Drohnen. Der Bundeswehr fehlen rund 20.000 reguläre Soldaten – ein Mangel, der die Fähigkeit zur Erfüllung gestiegener NATO-Anforderungen weiter einschränkt.

Politische und gesellschaftliche Hürden bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht

Um dem Personalmangel zu begegnen, verabschiedete die Bundesregierung im August 2025 ein Gesetz zur Stärkung des freiwilligen Wehrdienstes. Die Reform beinhaltet bessere Bezahlung, gezielte Ausbildungsmöglichkeiten und eine attraktivere Laufbahnentwicklung. Dennoch sind sich Fachleute einig, dass Freiwilligkeit allein nicht ausreicht, um die benötigte Truppenstärke zu erreichen.

Gesellschaftliche Zurückhaltung und rechtliche Herausforderungen

Die Wehrpflicht ist gesellschaftlich und politisch umstritten. Zwar erlaubt das Grundgesetz eine Wehrpflicht, diese wurde jedoch 2011 ausgesetzt. Umfragen zeigen, dass zwar eine Mehrheit einen stärkeren militärischen Schutz befürwortet, jedoch nur ein Drittel eine allgemeine Einberufung unterstützt. Lediglich 17 Prozent der Befragten wären selbst bereit, Dienst an der Waffe zu leisten. Dieser Zwiespalt zwischen allgemeiner Zustimmung zur Landesverteidigung und individueller Dienstbereitschaft zeigt die tief verwurzelte Zurückhaltung gegenüber einer Wehrpflicht.

Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2003, das selektive Einberufung als diskriminierend wertet, erschwert eine partielle Wiedereinführung. Eine Wehrpflicht nur für Männer wäre rechtlich und gesellschaftlich problematisch. Die politische Landschaft ist gespalten: Während die CDU eine Rückkehr zur Wehrpflicht unterstützt, sehen SPD und Grüne Risiken für Freiheitsrechte und finanzielle Effizienz.

Strategische Bedeutung für die NATO und Europas Sicherheit

Die Bundeswehr spielt eine zentrale Rolle im europäischen Sicherheitsgefüge. Insbesondere seit den Signalen aus den USA über eine mögliche Neuausrichtung ihrer globalen Truppenpräsenz unter Präsident Trump steht Deutschland verstärkt in der Verantwortung. Gemeinsam mit Polen trägt Deutschland die Hauptlast bei der Bodenverteidigung an der östlichen NATO-Grenze.

Mangelhafte Einsatzbereitschaft untergräbt jedoch die Abschreckungskapazität. Auch die Fähigkeit zur schnellen Verlegung von Truppen in Krisengebiete wie das Baltikum ist gefährdet. Die Debatte über eine strategische Autonomie Europas gewinnt vor diesem Hintergrund an Gewicht – und damit auch Deutschlands Verpflichtung zur Truppenstärkung.

Abwägung zwischen militärischem Aufbau und gesellschaftlichem Konsens

Die Verteidigungsausgaben sollen in den kommenden fünf Jahren auf rund 650 Milliarden Euro steigen. Doch jenseits der Finanzierung hängt der Erfolg maßgeblich von der Rekrutierung, Ausbildung und Bindung von Personal sowie der zügigen Modernisierung der Ausrüstung ab.

Demografische Veränderungen verschärfen die Lage zusätzlich. Die Zahl junger Menschen sinkt, was die Rekrutierung erschwert. Das verlangt kreative Strategien im Personalmanagement – ohne dabei den gesellschaftlichen Rückhalt für militärische Aufrüstungspläne und eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht zu verlieren.

Die sicherheitspolitische Dringlichkeit einer Entscheidung

Deutschlands mangelnde Einsatzbereitschaft zeigt deutlich: Der Wiederaufbau glaubhafter Verteidigungskapazitäten in einem geopolitisch volatilen Umfeld verlangt sowohl strukturelle als auch kulturelle Antworten. Die Wehrpflicht-Debatte ist Ausdruck dieses Spannungsfeldes – zwischen akuter sicherheitspolitischer Notwendigkeit und einer Gesellschaft, die sich seit Jahren von militärischer Präsenz distanziert hat.

Ein Blick auf die jüngste politische Diskussion zeigt die zugespitzte Lage. Der ehemalige grüne Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter warnt in einem aktuellen Beitrag davor, dass „die Bundeswehr bei den zu erwartenden Verlusten binnen weniger Monate ausgeblutet wäre“, sofern keine personelle Verstärkung erfolgt. Diese Mahnung betont die Dringlichkeit pragmatischer Reformen und entschlossener politischer Weichenstellungen.

Ob Deutschland die notwendige politische Entschlossenheit aufbringt, strukturelle Hindernisse zu überwinden und das gesellschaftliche Bewusstsein für Sicherheitsfragen zu schärfen, wird entscheidend sein. Nicht nur für die Wehrpflichtfrage, sondern für die gesamte strategische Position Europas in einer Ära wachsender globaler Spannungen.