Deutschland hat den diplomatischen Druck auf China erhöht, eine aktivere Rolle bei der Beeinflussung von Russlands Haltung im anhaltenden Krieg in der Ukraine einzunehmen. Außenminister Johann Wadephul betonte während eines regionalen Gipfels im Juli 2025 Chinas geopolitisches Gewicht und seine besondere Beziehung zu Moskau. Da fragile Verhandlungen bevorstehen und die humanitären Kosten steigen, unterstreicht Deutschlands Appell die Notwendigkeit, dass globale Akteure diplomatische Verantwortung übernehmen, um Stabilität in Europa zu fördern.
Chinas strategische Position im Russland-Ukraine-Konflikt
Die Beziehungen zwischen China und Russland haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten stetig vertieft. Beide Länder teilen strategische Interessen und ein gemeinsames Ziel, westlicher Dominanz entgegenzuwirken. Die im Jahr 2022 bekräftigte „grenzenlose Partnerschaft“ hat diese Verbindung weiter gefestigt. Zwar gibt sich China offiziell neutral, kauft jedoch weiterhin russische Energie, intensiviert technologische Zusammenarbeit und vermeidet westliche Sanktionen was eine faktische Unterstützung Moskaus bedeutet.
Im Jahr 2024 erreichte der bilaterale Handel zwischen beiden Ländern ein Rekordniveau von über 240 Milliarden US-Dollar ein Anstieg um 30 Prozent gegenüber dem Vorkriegsniveau. Diese ökonomische Verflechtung verleiht Peking erheblichen Einfluss auf Moskau, sollte es diesen gezielt nutzen wollen.
Friedensrhetorik im Kontrast zu praktischen Maßnahmen
Chinesische Offizielle betonen immer wieder ihre Unterstützung für multilaterale Verhandlungen und positionieren sich als neutrale Vermittler. Außenminister Wang Yi sprach sich beim BRICS+ Forum 2025 in Nairobi für einen „umfassenden Waffenstillstand“ aus und machte NATO-Erweiterungen als Destabilisierungsfaktor mitverantwortlich. Doch China hat bislang keine konkreten Maßnahmen ergriffen, um Russlands militärische Kapazitäten zu begrenzen oder zwischen Kiew und westlichen Akteuren direkt zu vermitteln.
Chinas Enthaltung bei Resolutionen der UN-Generalversammlung gegen den russischen Angriff sowie Berichte über Dual-Use-Technologieexporte haben in westlichen Hauptstädten Zweifel an Pekings Neutralität verstärkt. Auch Initiativen wie Chinas „Globale Sicherheitsinitiative“ blieben bislang vage und ohne bindende Wirkung.
Deutschlands Appelle und die internationale Diplomatie
Außenminister Johann Wadephul erklärte nach seiner diplomatischen Asienreise vor dem Bundestag, dass „Chinas Rolle nicht peripher“ in einer Friedenslösung sein könne. Er betonte, dass Chinas strategische Nähe zu Russland sowohl als Hemmnis als auch als potenzieller Schlüssel für Fortschritte in Verhandlungen wirken könne. Er forderte Peking auf, seine Verantwortung als globale Macht wahrzunehmen und den Konflikt aktiv zu entschärfen.
Die deutsche Sicherheitsstrategie 2025 beschreibt China sowohl als Kooperationspartner bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel als auch als strategischen Rivalen in geopolitischen Fragen. Wadephuls Diplomatieansatz reflektiert diese Ambivalenz, indem er auf Dialog und Einflussnahme setzt, anstatt auf Konfrontation.
Abstimmung mit westlicher Diplomatie
Deutschlands Bemühungen sind eingebettet in breitere westliche Strategien, um Russland international unter Druck zu setzen. Die EU und die USA verhängen weiterhin Sekundärsanktionen gegen Drittstaaten, die Russlands Kriegswirtschaft unterstützen. In Washington bleiben diplomatische Kanäle mit China offen, auch wenn geopolitische Spannungen zunehmen. Hinter den Kulissen finden multilaterale Gespräche unter Beteiligung von ASEAN und G20 statt.
Deutschland versteht sich in dieser Konstellation als Brückenbauer zwischen der EU und der G7. Ziel ist es, ergänzend zu US-Maßnahmen den diplomatischen Kontakt zu China aufrechtzuerhalten, um mögliche Vermittlungsansätze nicht ungenutzt zu lassen.
Hindernisse für Chinas Vermittlungsrolle
Chinas Zurückhaltung bei der Einflussnahme auf Russland resultiert aus einem strategischen Balanceakt. Einerseits benötigt Peking globale Stabilität und Zugang zu westlichen Märkten, andererseits ist Russland ein zentraler Partner in der multipolaren Weltordnung. Analysten sprechen von einer bewussten „strategischen Ambiguität“, mit der China versucht, beide Seiten auszubalancieren.
Diese Ambivalenz erlaubt es Peking, sich als Fürsprecher des Globalen Südens zu positionieren, ohne seine wirtschaftlichen Interessen oder die Partnerschaft mit Moskau zu gefährden. Gleichzeitig wird vermieden, sich offen mit westlichen Ländern anzulegen, was Chinas wirtschaftliche Abhängigkeiten belasten könnte.
Vertrauensdefizite gegenüber China im Westen
Trotz Pekings Friedensrhetorik herrscht im Westen Skepsis. Ukrainische Vertreter kritisieren Chinas Abwesenheit bei internationalen Hilfs- und Wiederaufbaukonferenzen. Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte beim Normandie-Forum im Juni 2025, „echte Neutralität bemisst sich an Taten, nicht nur an Worten“.
Diese Glaubwürdigkeitslücke erschwert Chinas Rolle als vertrauenswürdiger Vermittler. Ohne klare Maßnahmen etwa Exportkontrollen oder die Unterstützung internationaler Ermittlungen bleibt Chinas Einfluss beschränkt, insbesondere in Osteuropa.
Auswirkungen auf Friedensprozesse und globale Diplomatie
Chinas Einfluss auf Russland könnte entscheidend sein für mögliche Friedensvereinbarungen, die sowohl die territoriale Integrität der Ukraine wahren als auch russische Sicherheitsbedenken berücksichtigen. Eine Fortsetzung der strategischen Untätigkeit könnte jedoch zu einer weiteren Eskalation beitragen, mit humanitären und geopolitischen Folgen für Europa und darüber hinaus.
Deutsche Sicherheitsexperten warnen, dass ein andauernder Konflikt nicht nur humanitäre Krisen verschärft, sondern auch globale Lieferketten destabilisiert. Der Weltbank-Bericht Mitte 2025 verweist auf stagnierende wirtschaftliche Erholung in Regionen wie Zentralasien und Subsahara-Afrika teilweise eine Folge der kriegsbedingten Handelsverwerfungen.
Chinas Rolle in der multipolaren Weltordnung
Die geopolitische Bedeutung von Deutschlands Appell an China verdeutlicht den Übergang zu einer multipolaren Welt. Die Zeit, in der aufstrebende Mächte sich aus regionalen Konflikten heraushalten konnten, scheint vorbei. Heute werden ihre Handlungen oder ihr Schweigen als strategische Entscheidungen mit globaler Relevanz betrachtet.
Deutschlands Initiative verdeutlicht auch einen Wandel im diplomatischen Selbstverständnis mittelgroßer Staaten. Anstatt ausschließlich auf westliche Koalitionen zu setzen, versucht Berlin, neue diplomatische Konstellationen auszuloten und aufstrebende Akteure stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Chinas Bereitschaft oder Unwilligkeit, seinen Einfluss auf Russland zu nutzen, könnte zum entscheidenden Faktor für die Zukunft der Ukraine werden. Deutschlands Appell an Peking steht exemplarisch für eine neue Phase internationaler Diplomatie, in der globale Konfliktlösung zunehmend von der Kooperationsbereitschaft multipolarer Akteure abhängt. Ob China sich als ernstzunehmender Vermittler etabliert oder als strategischer Zaungast bleibt, wird nicht nur den Kriegsverlauf beeinflussen sondern auch die zukünftigen Spielregeln der Weltpolitik neu definieren.