Am 12. Mai 1965 nahmen Deutschland und Israel nach langer diplomatischer Vorbereitung offizielle Beziehungen auf. Dieser Schritt war alles andere als selbstverständlich: Der Zweite Weltkrieg war gerade einmal zwanzig Jahre zuvor zu Ende gegangen, und das Gedenken an den Völkermord des nationalsozialistischen Deutschlands an den europäischen Juden war in beiden Ländern noch sehr präsent. Auch heute, achtzig Jahre nach dem Ende des Krieges, bleiben die Beziehungen zu Israel von enormer Bedeutung – jedoch nach wie vor von großer Komplexität geprägt.
Der israelische Präsident Isaac Herzog reist nach Berlin, um das Jubiläum gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu würdigen. Gemeinsam planen sie einen Besuch des Holocaust-Mahnmals „Gleis 17“ am Bahnhof Berlin-Grunewald, von dem aus etwa 10.000 Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit in Konzentrationslager deportiert wurden. Herzog wird außerdem mit mehr als 100 deutschen und israelischen Jugendlichen zusammentreffen – im Wissen darum, dass seit Beginn des Krieges im Gazastreifen vor über eineinhalb Jahren der Antisemitismus, insbesondere unter jungen Menschen in Deutschland, stark zugenommen hat. Anschließend werden Herzog und Steinmeier gemeinsam nach Israel reisen und dort unter anderem ein Kibbuz an der Grenze zum Gazastreifen besuchen.
Der Besuch findet in den ersten Tagen der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz von der konservativen CDU statt. Wie alle Kanzlerinnen und Kanzler vor ihm ist sich Merz der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Staat Israel bewusst.
Als die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008 die israelische Knesset besuchte, bezeichnete sie diese Verantwortung ausdrücklich als Teil der deutschen „Staatsräson“. In ihrer Sichtweise trägt Deutschland eine besondere politische Verantwortung für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels.
Die sogenannte „Staatsräson“ ist kein rechtlich bindendes, sondern ein politisches Prinzip. Doch sowohl Merkels Vorgänger als auch ihre Nachfolger haben dieses Prinzip als grundlegende Maxime ihres außenpolitischen Handelns übernommen und praktiziert.
Trotz zunehmender Kritik am militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen haben deutsche Politikerinnen und Politiker immer wieder betont, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung hat – insbesondere nach dem Terrorangriff der militanten palästinensischen Gruppe Hamas am 7. Oktober 2023. Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Deutschland sowie viele weitere Länder stufen Hamas als Terrororganisation ein. Bei dem Angriff wurden fast 1.200 Menschen getötet und rund 250 Menschen als Geiseln verschleppt.
In der Praxis gestaltet sich die Umsetzung der „Staatsräson“ jedoch zunehmend schwierig. Die Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen wächst auch in Deutschland. Seit Anfang März blockiert Israel die Lieferung humanitärer Hilfsgüter in das palästinensische Gebiet, was zu Hunger und zahlreichen Todesfällen geführt hat. Der Krieg, den Israel als Reaktion auf den Hamas-Angriff begann, hat laut den von internationalen Organisationen als verlässlich eingeschätzten Angaben der Gesundheitsbehörden in Gaza bislang über 52.600 Todesopfer gefordert.
In seinem ersten Interview als Kanzler erklärte Friedrich Merz gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sender ARD: „Israel ist für uns von höchstem Anliegen. Die neue Außenministerin wird am kommenden Wochenende in meinem Auftrag nach Israel reisen. Ich möchte dem nicht vorgreifen. Wir bereiten diese Reise derzeit gemeinsam vor. Aber es muss klar sein, dass auch die israelische Regierung ihre Verpflichtungen nach dem Völkerrecht, insbesondere nach dem humanitären Völkerrecht, erfüllen muss.“
Netanjahu und der Internationale Strafgerichtshof
Im November 2024 erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu sowie gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Deutschland ist Gründungsmitglied des IStGH und wäre daher verpflichtet, Netanjahu bei einem Besuch in Deutschland festzunehmen.
Dennoch sagte Friedrich Merz am Tag nach der Bundestagswahl im Februar nach einem Telefonat mit Netanjahu, er werde als Kanzler Wege und Mittel finden, „um sicherzustellen, dass [Netanjahu] Deutschland besuchen und auch wieder verlassen kann, ohne hier verhaftet zu werden.“ Diese Aussage hat Merz seit seiner Wahl zum Kanzler jedoch nicht wiederholt.
Stattdessen betonte er in der ARD: „Israel hat das Recht, sich gegen diesen brutalen Angriff der Hamas-Terroristen vom 7. Oktober und alles, was danach folgte, zu verteidigen. Aber Israel muss auch ein Land bleiben, das seinen humanitären Verpflichtungen gerecht wird – insbesondere dort, wo dieser schreckliche Krieg derzeit stattfindet: im Gazastreifen, wo diese Auseinandersetzung mit den Hamas-Terroristen unausweichlich geführt wird.“
Die Auseinandersetzung um den Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister zeigt, wie komplex das Verhältnis zwischen beiden Ländern nach wie vor ist und wie stark es vom Gaza-Krieg beeinflusst wird. Obwohl die ehemalige Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen Israel nach Beginn des Krieges mehrfach besuchte, liegt der letzte Besuch Netanjahus in Berlin bereits über zwei Jahre zurück – im März 2023 traf er sich damals mit dem damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD.
Deutschland pflegt mit Israel zudem sogenannte Regierungskonsultationen – Treffen beider Kabinette, die die besondere Bedeutung der bilateralen Beziehung unterstreichen sollen. Solche Konsultationen führt Deutschland nur mit insgesamt zwölf Staaten durch. Die letzten Konsultationen mit Israel fanden vor über sieben Jahren statt.