Deutschland übernimmt Führungsrolle und ersetzt die „unzuverlässigen“ USA als Garant europäischer Sicherheit

Deutschland übernimmt Führungsrolle und ersetzt die „unzuverlässigen“ USA als Garant europäischer Sicherheit

Zwei Aussagen von Staatsführern in dieser Woche verdienen besondere Aufmerksamkeit. Am 27. Mai erklärte der US-Präsident Donald Trump auf seinem Social-Media-Kanal Truth Social, dass ohne ihn „viele wirklich schlimme Dinge bereits in Russland passiert wären“. Nur einen Tag später verkündete der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, dass Deutschland der Ukraine beim Ausbau von Langstreckenraketen zur Bekämpfung von Zielen in Russland helfen werde. Beide Aussagen sind bemerkenswert.

Selbst für Trumps Verhältnisse ist die öffentliche Erklärung eines amtierenden US-Präsidenten, dass er den russischen Präsidenten Wladimir Putin beschütze, beispiellos. Putin wird wegen Kriegsverbrechen angeklagt und führt seit über drei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, nachdem er bereits vor über einem Jahrzehnt die Krim völkerrechtswidrig annektiert hatte. Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass die USA für die Ukraine und ihre europäischen Partner ein unzuverlässiger Verbündeter geworden sind.

Vor diesem Hintergrund gewinnt Merz’ Ankündigung über die verstärkte Verteidigungszusammenarbeit mit der Ukraine an Bedeutung. Während Trump weiterhin einem unrealistischen Deal mit Putin nachjagt – obwohl er vor weniger als zehn Tagen drohte, sich ganz aus der Vermittlung zurückzuziehen – verstärkt Deutschland seinen Einsatz zur Verteidigung der Ukraine.

Darüber hinaus strebt Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU und zweitgrößte in der NATO an, die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee Europas“ auszubauen. Generalinspekteur Carsten Breuer hat bereits Pläne zur schnellen und umfassenden Modernisierung der Verteidigungsfähigkeiten veröffentlicht.

Deutschland übernimmt damit endlich eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit der EU angesichts der Bedrohung durch Russland. Berlin verfügt über die finanziellen Mittel sowie das technologische und industrielle Potenzial, Europa beim Thema Verteidigung als gleichwertigen Partner zu den USA zu positionieren. Dies ist besonders wichtig, um das zu retten, was von der NATO noch übrig ist – angesichts eines wahrscheinlichen Rückzugs oder gar vollständigen Abbruchs der bisherigen Sicherheitszusagen durch die USA.

Nach Jahrzehnten des Versagens bei der Entwicklung einer tragfähigen Russlandstrategie und der dafür nötigen militärischen Mittel, wird es Zeit brauchen, beides zu verwirklichen. Doch es ist wichtig anzuerkennen, dass die neue Bundesregierung entscheidende erste Schritte unternommen hat.

Wachsende Bedrohung

Für Deutschland und weite Teile Europas bedeutet der Ausbau der Verteidigungsfähigkeit mehr als nur die Produktion zusätzlicher Munition oder die Beschaffung moderner Waffensysteme. Ebenso notwendig ist eine erhebliche Investition in personelle Ressourcen – entweder durch mehr Freiwillige oder durch eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, die in Deutschland kein Tabu mehr darstellt.

Die Entsendung einer neuen Brigade nach Litauen – der ersten internationalen Stationierung seit dem Zweiten Weltkrieg – sendet ein klares Signal an die NATO-Partner und an Russland: Deutschland ist bereit, seine Worte mit Taten zu untermauern. Die Bedrohung durch Russland hat sich seit Beginn der umfassenden Invasion in die Ukraine im Februar 2022 erheblich verschärft.

Der dreijährige Krieg hat nicht nur die Ukraine betroffen, sondern auch die europäischen Schwachstellen offengelegt – einschließlich der starken Abhängigkeit von den USA. Er hat militärischen Planern wertvolle Erkenntnisse geliefert, wie eine künftige Konfrontation mit Russland aussehen könnte. Deshalb konzentrieren sich deutsche Strategen nun auf Luftabwehrsysteme, Präzisionswaffen, Drohnen sowie elektronische und Cyberkriegfähigkeiten.

Europas Erwachen

Auch über Deutschland hinaus zeigt sich, dass Europa beginnt, sicherheitspolitisch auf eigenen Füßen zu stehen. Der Kontinent steht vor einer dreifachen Herausforderung: Erstens muss er seine Verteidigungsausgaben angesichts des anhaltenden Krieges und der russischen Expansionsdrohungen deutlich erhöhen. Zweitens muss Europa mit dem möglichen Zusammenbruch des transatlantischen Bündnisses unter Trump zurechtkommen. Und drittens bedroht eine populistische Welle die Grundlagen der europäischen Demokratie und untergräbt die Anstrengungen, sich sowohl Trump als auch Putin entgegenzustellen. Diese Entwicklung wird zusätzlich befeuert durch die ideologische Nähe von Trumps „America First“-Bewegung (MAGA) zu Putins Russland.

Große Herausforderungen

Diese Herausforderungen sind tiefgreifend und nicht kurzfristig zu lösen. Die erste Bewährungsprobe dieser neuen europäischen Entschlossenheit wird der weitere Verlauf des Krieges in der Ukraine sein. Die Erlaubnis an die Ukraine, Langstreckenraketen gegen Ziele in Russland einzusetzen, ist kein Novum. US-Präsident Joe Biden genehmigte dies erstmals im November 2024, woraufhin auch London und Paris folgten – nicht aber Berlin.

Ob diese Maßnahmen wirksam sein werden, hängt unter anderem davon ab, wie viele Raketen der Ukraine tatsächlich zur Verfügung stehen und ob der Austausch von US-Geheimdienstinformationen weitergeht – ein Schlüsselfaktor für die Zielerfassung. Zudem ist die Wirksamkeit schwer messbar. Im besten Fall kann die Ukraine Russlands erwartete Sommeroffensive abwehren.

Der Kreml hat bereits Unmut geäußert und seine nukleare Rhetorik verschärft.

Trump hingegen bleibt vor allem bei Worten, wenn es darum geht, Druck auf Russland auszuüben. Im Gegensatz dazu zeigen sich die Europäer zum ersten Mal deutlich handlungsorientierter – ein weiteres Zeichen für die wachsende transatlantische Kluft.

Das bedeutet jedoch nicht das Ende der transatlantischen Beziehungen. Dies zeigt sich auch am Treffen zwischen US-Außenminister Marco Rubio und seinem deutschen Amtskollegen Johann Wadephul, das nahezu zeitgleich zu den Aussagen von Trump und Merz stattfand.

Aber: Europas Sicherheit hängt nun vollständig davon ab, ob die zentralen Akteure des Kontinents den Willen und die Mittel mobilisieren können, um sich gegen einen aggressiven Feind im Osten zu verteidigen. Berlin und andere europäische Hauptstädte scheinen dies endlich erkannt zu haben. Jetzt müssen sie beweisen, dass sie auch entschlossen und zügig handeln können.