Deutsche Gesetzgeber und afghanische Abschiebungen: Zwischen Sicherheit und Menschenrechten

Deutsche Gesetzgeber und afghanische Abschiebungen: Zwischen Sicherheit und Menschenrechten

Deutschland hat die Abschiebung afghanischer Migranten in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet. Im Jahr 2024 wurden über 1.361 Afghanen abgeschoben – ein Anstieg von rund 20 % im Vergleich zum Vorjahr. Diese Entwicklung setzte sich 2025 fort, allein im ersten Quartal wurden mehr als 6.000 Abschiebungen vollzogen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) meldete, dass die Anerkennungsquote für afghanische Asylanträge von 74 % im Jahr 2024 auf nur noch 52 % Anfang 2025 gesunken ist.

Die Behörden richten ihr Augenmerk verstärkt auf Personen mit Vorstrafen oder mutmaßlich extremistischen Ansichten. Dies geschieht vor dem Hintergrund gewaltsamer Vorfälle, die politisch wie öffentlich Druck aufgebaut haben. Besonders beachtet wurde ein Abschiebeflug im September 2024, bei dem 28 verurteilte afghanische Migranten außer Landes gebracht wurden.

Politischer und gesellschaftlicher Kontext

Regierungsposition und Wahldruck

Bundeskanzler Friedrich Merz’ Regierungskoalition hat betont, dass verschärfte Asylgesetze notwendig seien, um irreguläre Migration einzudämmen. Die Regierung argumentiert, humanitäre Migration habe ein Maß erreicht, das „die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft übersteigt“. Offiziell betonen Vertreter, dass Abschiebungen auf rechtlichen Grundlagen und Sicherheitsbewertungen beruhen – ungeachtet der Nähe zur Bundestagswahl im Februar 2025.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kündigte kürzlich an, Deutschland habe „unbegrenzte Abschiebungen“ afghanischer Staatsangehöriger genehmigt – mit Fokus auf Terrorverdächtige, Straftäter und Personen, die mit Behörden nicht kooperieren. Diese politische Wende spiegelt einen breiten parteiübergreifenden Konsens wider, der vom Aufstieg rechter Parteien wie der AfD beeinflusst wird.

Rechter Einfluss und Meinungsumschwung

Seit der Flüchtlingskrise 2015 hat sich die öffentliche Meinung spürbar in Richtung restriktiver Migrationspolitik verschoben. Sicherheitsbedenken und Skepsis gegenüber weiteren Zuzügen dominieren die gesellschaftliche Debatte. Die AfD konnte 2025 mit migrationskritischen Parolen und Sicherheitsversprechen deutliche Wahlerfolge erzielen.

Dieser politische Druck zwingt auch etablierte Parteien dazu, Abschiebungen und Grenzkontrollen zu priorisieren – häufig auf Kosten humanitärer Aspekte.

Menschenrechte und internationale Kritik

Risiken bei Rückführungen nach Afghanistan

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch verurteilen Deutschlands Rückführungen nach Afghanistan. Sie verweisen auf systematische Repression unter der Taliban-Herrschaft, insbesondere gegen Frauen, Journalistinnen, LGBTQ-Personen und ehemalige Regierungsangehörige. Die Menschenrechtslage im Land wird weiterhin als katastrophal beschrieben.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnt vor Abschiebungen in ein instabiles und gefährliches Land. Rückkehrer müssten mit Verfolgung, Folter und mangelnder medizinischer Versorgung rechnen. Dennoch argumentiert Deutschland, dass in bestimmten Regionen Afghanistans Rückführungen vertretbar seien.

Juristische Gegenwehr und Verfahrensstau

Zahlreiche Betroffene versuchen über Gerichte, ihre Abschiebung zu verhindern. Ihre Anwälte argumentieren, dass Deutschland keine Rückführungen anordnen dürfe, ohne sicherzustellen, dass die Personen nicht mehr gefährdet seien. Das BAMF sieht sich infolgedessen mit einer Flut von Einsprüchen konfrontiert: 2024 wurden über 100.000 Berufungen eingelegt.

Diese Entwicklungen führen zu überlasteten Verfahren und längeren Bearbeitungszeiten. Anfang 2025 lag die durchschnittliche Dauer für Asylentscheidungen bei rund zwölf Monaten – mit teils weitreichenden Folgen für Betroffene.

Die schwierige Balance zwischen Sicherheit und humanitärem Schutz

Sicherheitsinteressen vs. Schutzpflichten

Die Bundesregierung steht vor einem Dilemma: Sie muss einerseits die Bevölkerung vor potenziellen Gefahren schützen, andererseits ihrer völkerrechtlichen Schutzverpflichtung gerecht werden. Zwar sind Einzelfälle extremistischer Gewalt nachweislich ein Sicherheitsrisiko, doch eine generelle Kategorisierung afghanischer Migranten als Bedrohung ist nicht belegbar.

Kritiker warnen daher vor Übergriffen staatlicher Maßnahmen, die nicht zwischen Kriminellen und Schutzbedürftigen differenzieren.

Internationale Kooperation als Lösungsansatz

Die Herausforderung der afghanischen Migration lässt sich nicht im Alleingang lösen. Deutschlands aktuelle Abschiebepraxis macht deutlich, wie sehr es an internationalen Lösungen fehlt – etwa sicheren Drittstaaten, gezielten Aufnahmeprogrammen oder humanitärer Hilfe vor Ort.

Ohne koordiniertes Vorgehen drohen Rückführungen, die neue humanitäre Krisen auslösen oder bestehende Konflikte verschärfen.

Stimmen aus der Praxis

Der Migrationsforscher Serif Canada äußerte sich gegenüber der Deutschen Welle zur Abschiebepolitik Deutschlands. Er betonte: 

„Sicherheit ist wichtig – aber der menschliche Preis darf nicht vergessen werden. Menschen in ein zerrüttetes Land zurückzuschicken, wirft schwerwiegende ethische und rechtliche Fragen auf.“

Seine Perspektive zeigt exemplarisch, wie schwierig die Abwägung zwischen sicherheitspolitischem Pragmatismus und menschenrechtlichem Anspruch geworden ist.

Polarisierte politische Landschaft

Unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern

Nicht alle Bundesländer setzen die verschärfte Abschiebepolitik gleichermaßen um. Während Bayern und Sachsen proaktiv abschieben, äußern sich Länder wie Bremen oder Berlin deutlich zurückhaltender. Diese föderale Uneinheitlichkeit führt zu einer Art „Abschiebelotterie“, abhängig vom Wohnort des Asylsuchenden.

Zudem kommt es vermehrt zu gerichtlichen Stopps von Abschiebungen, da Gerichte die Rechtslage unterschiedlich auslegen. Das beschädigt das Vertrauen in einheitliche Rechtsstandards.

Proteste und zivilgesellschaftliche Reaktionen

Kirchliche Organisationen, Menschenrechtsinitiativen und Flüchtlingsräte kritisieren die Entwicklung scharf. Demonstrationen in Berlin, München und Hamburg mobilisierten zuletzt tausende Menschen, die ein sofortiges Moratorium forderten.

Zentraler Vorwurf: Deutschland riskiere seine internationale Vorbildrolle als Schutzmacht für Verfolgte. Die Proteste fordern die Wiederaufnahme humanitärer Aufnahmeprogramme und eine differenzierte Prüfung individueller Lebensgefahren.

Wohin steuert die deutsche Migrationspolitik?

Deutschlands Umgang mit afghanischen Asylsuchenden steht exemplarisch für eine umfassende europäische Verschiebung in der Migrationspolitik. Immer mehr Staaten setzen auf Rückführungen, Grenzschutz und restriktive Asylgesetze.

Diese Entwicklung verschafft kurzfristige politische Stabilität, birgt jedoch langfristige Risiken – etwa gesellschaftliche Polarisierung, internationale Kritik oder Verstöße gegen Menschenrechte.

Dabei steht Deutschland vor einer grundlegenden Frage: Wie lässt sich der Schutz der eigenen Bevölkerung mit der Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden vereinbaren? Die Antwort darauf wird nicht nur die deutsche Asylpolitik prägen, sondern auch das internationale Ansehen des Landes.

Ob der aktuelle Kurs in Zukunft tragfähig bleibt, wird sich zeigen – nicht nur auf parlamentarischer Ebene, sondern auch durch Gerichtsurteile und öffentliche Debatten. Klar ist: Abschiebungspolitik ist längst mehr als Verwaltungsroutine. Sie ist zu einem Prüfstein für die Werteordnung einer liberalen Demokratie geworden.