Als CDU/CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag zur Bildung der neuen Bundesregierung unterzeichneten, verkündete der designierte Kanzler Friedrich Merz stolz: „Deutschland ist zurück auf Kurs.“ Vor dem Hintergrund erheblicher geopolitischer und geoökonomischer Herausforderungen wollten die Koalitionspartner ein klares Signal senden – nicht nur an die deutsche Bevölkerung, sondern auch an die europäischen und internationalen Partner. Nach drei Jahren intensiver Regierungskämpfe stand nun eine neue, stabile Regierung an der Spitze Deutschlands.
Doch eine ganz andere Botschaft wurde letztlich gesendet, als eine routinemäßige Abstimmung zur Bestätigung von Merz als Kanzler zu einem beispiellosen Fiasko wurde.
Merz erhielt nicht genügend Stimmen, um im ersten Wahlgang bestätigt zu werden – Stimmen aus den eigenen Reihen fehlten. Zwar wurde er in einer zweiten Runde vom Parlament nominiert, doch kursieren seitdem Spekulationen darüber, wer innerhalb der Koalition aus „Rache“ gegen ihn gestimmt hat – und aus welchen Gründen.
Merz’ Start mit außenpolitischem Fokus
Merz muss nun daran arbeiten, diesen frühen Rückschlag zu überwinden – sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch. Sein erster Schritt war eine Reise durch europäische Hauptstädte, um Partner zu treffen – ein starkes Signal seiner außenpolitischen Ambitionen.
Verteidigung als Priorität – Machtkonsolidierung
Lange war Deutschlands Europapolitik von Kontinuität geprägt. Doch angesichts der sich wandelnden internationalen Lage befindet sich das Verhältnis zu den Nachbarn im Umbruch. Ein entscheidender Schritt kam bereits unter Ex-Kanzler Olaf Scholz, der nach Russlands Invasion in der Ukraine eine Investition von 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr ankündigte.
Merz will Deutschland nun zu einer „führenden mittleren Macht“ machen. Der Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ stärkt die Rolle des Kanzlers und betont Verteidigung, Abschreckung und Resilienz – militärisch, wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich.
EU-Partner erwarten Führungsstärke von Merz, nicht zuletzt wegen seiner Erfahrung als EU-Parlamentarier von 1989 bis 1994. Der Koalitionsvertrag beschreibt die EU als „Garanten für Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand“.
Merz bekräftigte seine europäische Ausrichtung durch Besuche in Paris und Warschau gleich nach Amtsantritt und kündigte eine Wiederbelebung des „Weimarer Dreiecks“ mit Frankreich und Polen an – ein regionales Bündnis, das 1991 gegründet wurde.
Trotz neuer Betonung auf Verteidigung bleibt die Kontinuität zur Vorgängerregierung bestehen: klare Bekenntnisse zur EU, zur NATO und zur umfassenden Unterstützung der Ukraine.
Ein langjähriges konservatives Ziel wird ebenfalls umgesetzt: die Schaffung eines Bundessicherheitsrates im Kanzleramt – was dem Kanzler eine stärkere außenpolitische Rolle verschafft. Zudem ist der neue Außenminister Johann Wadephul ein enger Vertrauter von Merz aus der CDU – eine Abkehr von der bisherigen Tradition, dass der kleinere Koalitionspartner das Auswärtige Amt führt. Damit konzentriert sich außenpolitische Macht nun stärker im Kanzleramt.
Globale Ausrichtung: USA, China, Israel
Auch außenpolitisch jenseits Europas setzt Merz klare Akzente – insbesondere gegenüber den USA, China und Israel. Er kündigte im Februar 2025 an, Möglichkeiten zu prüfen, Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in Berlin zu empfangen – trotz eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs. Ein solcher Schritt würde mit Deutschlands Bekenntnis zum Völkerrecht brechen, ist jedoch Teil der deutschen Staatsräson, die Israels Existenzrecht und Sicherheit als nationales Interesse definiert.
Merz gilt als transatlantisch orientiert. Schon vor Amtsantritt suchte sein Umfeld Kontakt zur US-Regierung. Handelskonflikte gefährden die exportabhängige deutsche Wirtschaft – sowohl gegenüber den USA als auch China, das gleichzeitig wichtiger Handelspartner und „systemischer Rivale“ ist. Eine „De-Risking“-Strategie wird angestrebt.
Angesichts der unsicheren Rolle der USA in der europäischen Sicherheit – vor allem unter Ex-Präsident Trump – will Deutschland in enger Abstimmung mit der EU die Beziehungen zum Vereinigten Königreich stärken, um die Lücke zu kompensieren, insbesondere im Hinblick auf die Ukraine.
Merz scheint gewillt, diese Herausforderungen anzunehmen und seine Kanzlerschaft außenpolitisch zu prägen. Rückenwind erhält er durch die derzeitige Dominanz der konservativen EVP im EU-Parlament sowie durch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – eine Deutsche.
Innenpolitische Schwächen bleiben
Doch das Wahlfiasko im Bundestag zeigt: Merz ist im Inland verletzlicher, als er es sich wünschen würde. Das könnte seine europapolitischen Ambitionen ausbremsen.
Auch die Bevölkerung steht ihm skeptisch gegenüber: Weniger als 40 % der Deutschen vertrauen ihm – insbesondere bei Frauen kommt sein oft polarisierender Stil schlecht an. Neben effektiver Politik muss Merz daher auch seine Kommunikation verbessern, wenn er das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen will.