Abschiebung nach Afghanistan: Deutschlands zweite rückführung stellt flüchtlingsschutz auf die Probe

Abschiebung nach Afghanistan: Deutschlands zweite rückführung stellt flüchtlingsschutz auf die Probe

Am 18. Juli 2025 führte Deutschland seinen zweiten Abschiebungsflug nach Afghanistan durch, seit die Taliban 2021 erneut die Macht übernommen haben. Insgesamt wurden 81 afghanische Männer zurückgeführt. Diese Maßnahme folgt auf eine langjährige Aussetzung der Abschiebungen aus Sicherheitsgründen und markiert eine deutliche politische Wende unter Bundeskanzler Friedrich Merz. Laut Bundesinnenministerium handelte es sich bei den Abgeschobenen überwiegend um Personen mit strafrechtlichen Verurteilungen oder abgelehnten Asylanträgen.

Die Rückführung erfolgte mit Unterstützung der katarischen Regierung über Qatar Airways, wobei Katar als Mittler für die logistische Koordination mit den Taliban fungierte – einem Regime, das Deutschland offiziell nicht anerkennt. Die Abschiebung wurde in den frühen Morgenstunden vom Flughafen Leipzig/Halle unter Polizeischutz durchgeführt und verdeutlichte die Entschlossenheit der Bundesregierung, migrationsrechtliche Maßnahmen sichtbar durchzusetzen.

Im ersten Quartal 2025 wurden über 6.000 Personen aus Deutschland abgeschoben – ein signifikanter Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren. Parallel dazu wurden Familiennachzüge stark eingeschränkt und die Bundespolizei an den Grenzen verstärkt, um irreguläre Einreisen zu verhindern. Diese Maßnahmen stehen im Einklang mit einem grundsätzlichen Kurswechsel in der deutschen Asyl- und Migrationspolitik.

Das Risikoumfeld für Rückkehrer

Ein Land in anhaltender Krise

Afghanistan gilt nach wie vor als eines der gefährlichsten Länder der Welt, insbesondere im Hinblick auf Menschenrechte. Seit der Machtübernahme der Taliban sind Berichte über außergerichtliche Tötungen, systematische Folter, Gewalt gegen Frauen und willkürliche Festnahmen an der Tagesordnung. Internationale Beobachter warnen eindringlich vor den Gefahren, denen abgeschobene Personen bei ihrer Rückkehr ausgesetzt sein könnten – darunter Inhaftierung oder sogar Lebensgefahr.

Auch das Auswärtige Amt warnt weiterhin vor Rückführungen ohne konkrete Sicherheitszusagen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl betont, dass “eine Rückkehr derzeit nicht sicher möglich” sei. Die Organisation stellt zudem infrage, ob Abschiebungen in ein repressives System mit Deutschlands internationalen Schutzpflichten vereinbar sind.

Rechtliche Unsicherheiten und minimale Unterstützung

Nach deutschem Recht können Abschiebungen gestoppt werden, wenn eine erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen besteht. In der Praxis wurden in der Vergangenheit entsprechende Abschiebungen durch Gerichte untersagt. Dennoch verfolgt die aktuelle Bundesregierung eine konsequentere Linie, insbesondere bei Personen mit strafrechtlicher Vorgeschichte.

Die Rückkehrhilfe von maximal 1.000 Euro, die Abgeschobenen zur Wiedereingliederung erhalten, wird von Experten als unzureichend bewertet, um die wirtschaftlichen und sicherheitsbezogenen Herausforderungen in Afghanistan zu überbrücken. Diese begrenzte Unterstützung verstärkt die Bedenken über das tatsächliche Überleben und die Perspektiven der Rückkehrer.

Innenpolitische Dynamik und Koalitionspolitik

Die Abschiebung vom Juli steht exemplarisch für das sicherheitspolitische Programm von Kanzler Merz. Die CDU, regierende Kraft in der Koalition mit der SPD, hatte die Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Afghanistan bereits im Koalitionsvertrag 2025 verankert. Innenminister Alexander Dobrindt begründete die Maßnahme mit der öffentlichen Sicherheit und erklärte: “Für Straftäter gibt es in Deutschland keinen Platz.”

Diese Position zielt darauf ab, klare Grenzen zu setzen und die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu betonen. Innerhalb der SPD sowie in zivilgesellschaftlichen Organisationen regt sich jedoch Kritik. Dort werden ethische und rechtliche Bedenken geäußert, insbesondere angesichts der prekären Lage in Afghanistan.

Die öffentliche Meinung ist gespalten. Während einige den Kurswechsel begrüßen, halten andere Abschiebungen in Krisenregionen für unverantwortlich. Die Debatte wirft zentrale Fragen darüber auf, wie Deutschland seine Schutzverpflichtungen gegenüber Geflüchteten im Einklang mit innerer Sicherheit gestalten kann.

Deutschlands diplomatischer Balanceakt

Deutschlands Vorgehen zeigt den diplomatischen Spagat zwischen rechtsstaatlicher Umsetzung von Abschiebungen und dem Verzicht auf die formale Anerkennung der Taliban-Regierung. Um Abschiebungen technisch zu ermöglichen, erlaubt Berlin Taliban-Diplomaten die Arbeit in afghanischen Auslandsvertretungen auf deutschem Boden – allerdings ausschließlich für konsularische Zwecke.

Diese rein funktionale Zusammenarbeit wird von der Bundesregierung nicht als politische Anerkennung gewertet, dennoch werfen Kritiker ethische Fragen auf: Kann man mit einem Regime kooperieren, das für gravierende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, ohne sich moralisch mitverantwortlich zu machen?

Am 18. Juli 2025 trafen sich zudem EU-Migrationsminister in Brüssel, um über die europäische Migrationspolitik zu beraten. Deutschlands wachsendes Abschiebetempo war dabei ein zentrales Thema. Die Konferenz unterstrich die Notwendigkeit gemeinsamer Verantwortung und einer besseren Koordination im Umgang mit irregulärer Migration innerhalb der EU.

Flüchtlingszahlen und Integrationsherausforderungen

Die afghanische Gemeinschaft zählt zu den größten Gruppen von Geflüchteten in Deutschland. Laut Ausländerzentralregister lebten im April 2025 rund 442.000 Afghanen im Bundesgebiet. Etwa 11.000 davon waren zur Ausreise verpflichtet – entweder wegen abgelehnter Asylanträge oder aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen.

Die Zahl der Asylanträge aus Afghanistan ist rückläufig: 2023 wurden 329.120 Anträge gestellt, 2024 waren es 229.751. Diese Entwicklung ist auch auf verschärfte Regularien und höhere Hürden beim Schutzstatus zurückzuführen. Dennoch bleibt die Integration eine Herausforderung – viele afghanische Geflüchtete kämpfen mit Zugangshürden zu Arbeit, Wohnraum und Bildung.

Für Personen mit negativem Aufenthaltsstatus oder strafrechtlicher Vergangenheit nimmt der Druck zur Ausreise weiter zu. Doch selbst bei Umsetzung der Abschiebung bestehen enorme praktische Hürden. Afghanistans fehlende Infrastruktur und die anhaltende Krise erschweren jede Form einer sicheren und nachhaltigen Rückkehr.

Stimmen von Fachleuten und Beteiligten

Innenminister Dobrindt betrachtet die Rückführungen als sicherheitsrelevant und gesetzeskonform. Doch aus menschenrechtlicher Sicht ist die Lage wesentlich komplexer. Organisationen wie Pro Asyl sowie zahlreiche Juristinnen und Juristen warnen, dass Abschiebungen in das Taliban-Regime gegen internationales Flüchtlingsrecht verstoßen könnten.

Rechtsexperten betonen, dass staatliche Souveränität im Migrationsrecht nicht unbegrenzt ist – insbesondere dann nicht, wenn eine reale Bedrohung für Leib und Leben vorliegt. Deutschlands Taktik, Abschiebungen ohne Anerkennung des Taliban-Regimes durchzuführen, sei rechtlich möglich, aber ethisch umstritten.

Diese Problematik griff auch Rahmatullah ALO auf, ein afghanischer Flüchtlingsaktivist. In einem Interview mit internationalen Medien sagte er, dass

“kein rechtlicher oder finanzieller Beistand jemanden in Taliban-Gebieten schützen kann, der markiert oder gefährdet ist.”

Er sprach von “unaussprechlichen Härten” für Rückkehrer und hinterfragte, ob Deutschland die Verantwortung für diese Konsequenzen ausreichend bedenkt.

Migration im Spannungsfeld zwischen Recht und Menschlichkeit

Die zweite Abschiebung nach Afghanistan im Jahr 2025 steht exemplarisch für eine tiefgreifende Neuausrichtung der deutschen Migrationspolitik. Sie wirft die zentrale Frage auf, wie nationale Sicherheitsinteressen mit internationaler Schutzverantwortung vereinbar gemacht werden können. Für die Betroffenen bedeutet jede Rückführung weit mehr als eine formale Maßnahme – sie ist oft gleichbedeutend mit einem Schritt zurück in existenzielle Unsicherheit.

Auch im europäischen Kontext wird dieses Vorgehen aufmerksam beobachtet. Es spiegelt den Trend zu migrationspolitischer Abschreckung wider, lässt jedoch grundlegende Fragen offen: Wie lässt sich ein humaner, rechtsstaatlicher Umgang mit Flucht und Vertreibung unter wachsendem politischem Druck gestalten? Und welche Rolle spielt Deutschland künftig bei der europäischen Lastenteilung?

Die langfristigen Auswirkungen dieser Abschiebepolitik sind noch nicht abzusehen. Doch klar ist: Wie Deutschland seine Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden künftig wahrnimmt, wird das Vertrauen in seine Rechtsstaatlichkeit ebenso beeinflussen wie seine Rolle im internationalen Menschenrechtssystem.