Am 20. und 21. Juli 2025 wurden zwei israelische Staatsangehörige in Belgien im Rahmen der universellen Jurisdiktion verhört. Es handelt sich um den ersten bekannten Fall, in dem Israelis formal in Europa wegen mutmaßlicher Beteiligung an Kriegsverbrechen in Gaza befragt wurden. Die Festnahmen erfolgten in der Nähe des Tomorrowland-Festivals bei Antwerpen, nachdem sie von Vertreterinnen von Menschenrechtsorganisationen erkannt wurden.
Die belgische Bundesstaatsanwaltschaft bestätigte die Ermittlungen wegen „schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht“. Laut israelischen Stellen handelte es sich bei einem der beiden um einen aktiven Soldaten und beim anderen um einen zivilen Angehörigen. Belgische Behörden hingegen bestehen darauf, beide seien dem Militär zuzuordnen. Diese Divergenz offenbart nicht nur juristische Unsicherheiten, sondern auch diplomatische Spannungen.
Universelle Jurisdiktion als Instrument der Völkerrechtspflege
Belgien hatte 2024 seine universelle Jurisdiktion gestärkt. Demnach dürfen belgische Gerichte Kriegsverbrechen verfolgen – unabhängig von Opfer oder Tätern. Dieser Schritt reagierte auf weltweite Kritik an der langsamen und oft politisch blockierten Reaktionsfähigkeit internationaler Justizorgane wie dem ICC.
Dass diese Norm nun gegen mutmaßliche Täter in Gaza angewandt wird, zeigt die Entschlossenheit Belgiens, humanitäre Normen aktiv durchzusetzen. Im Gegensatz zu Prozessen gegen Staatsangehörige schwächerer Staaten verbirgt sich hinter diesem Verfahren eine Bereitschaft, mögliche diplomatische Gegenreaktionen in Kauf zu nehmen.
Beweisführung durch öffentlich zugängliche Quellen
Die Strafanzeigen stammen von der Hind Rajab Foundation und dem Global Legal Action Network (GLAN). Diese Organisationen nutzten öffentlich verfügbare Medien – Fotos, Social-Media-Beiträge, Videos – die angeblich die Beteiligung der Verdächtigen an Angriffen der Givati-Brigade belegen. Die Nutzung solcher offenen Quellen zeigt die zunehmende Bedeutung digitaler Beweismittel in völkerrechtlichen Verfahren.
Laut GLAN-Rechtsleiterin Dearbhla Minogue ist dies
„der größte Schritt zur Rechenschaftspflicht seit Beginn des Genozidvorwurfs“
. Diese Strategie hebt sich von klassischen Verfahren ab, da sie ohne vertrauliche Informationen auskommt.
Geschichtlicher und symbolischer Hintergrund
Die Hind Rajab Foundation erinnert an ein sechsjähriges palästinensisches Mädchen, das in Gaza getötet wurde. Ihr Direktor Dyab Abou Jahjah bezeichnete die belgischen Ermittlungen als „Meilenstein“, weil erstmals mutmaßliche israelische Soldaten in Europa rechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Die Bewegung von Aktivisten in Richtung gerichtlicher Registry markiert einen Wandel: Aktivismus wird zu juristischer Aktion, dokumentarisches Material erhält möglicherweise gerichtliche Relevanz.
Juristische Komplexität und diplomatische Sensibilität
Trotz der Verringerung personeller Grenzen bleibt umstritten, wer konkret militärisch tätig war. Israel betonte, dass seine eigenen internen Untersuchungen ausreichen und dass die Armee den internationalen Standards entspreche. Die Europäische Jüdische Gemeinschaft hielt die belgische Maßnahme für politisch motiviert und warnte vor rechtlichen Fehltritten.
Diese Reaktionen spiegeln das Spannungsfeld zwischen nationaler Souveränität und internationalem Recht wider. Belgien geht bewusst ein hohes diplomatisches Risiko ein, um humanitäre Prinzipien zu schützen.
Signalwirkung für Europa
Belgien könnte mit diesem Verfahren andere EU-Staaten inspirieren. Deutschland, Spanien und Schweden verfügen ebenfalls über universelle Jurisdiktion. Gerichtliche Schritte oder Auslieferungsforderungen Belgiens könnten eine „juristische Domino-Kaskade“ auslösen, insbesondere wenn ähnliche Fälle international vernetzt behandelt werden.
Bereits jetzt zeichnen sich erste Konsequenzen für Reisende und Militärpersonal ab: Trainings, Reisehinweise und operative Standards könnten angesichts zunehmender rechtlicher Transparenz angepasst werden.
Menschenrechtliche Tragödie in Gaza als Hintergrund
Die Ermittlungen laufen vor dem Hintergrund einer gravierenden humanitären Krise. Seit Oktober 2023 kamen in Gaza über 59.000 Menschen ums Leben, darunter zahlreiche Zivilisten. Die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur verschärft das Leid ziviler Bevölkerungen weiter.
In diesem Kontext erhält der belgische Vorstoß moralisches Gewicht. Wenn internationalen Institutionen wie dem ICC Eilkompetenz oder politischer Rückhalt fehlen, erwachsen nationale Gerichte zur möglichen Alternative – mit jedoch unklarer Reputation und politischer Reichweite.
Nationale Gerichte statt internationale Tribunalspanne
Ruki Gafe, völkerrechtliche Expertin, hat auf Twitter (sozialemedium) darauf hingewiesen, dass dieser Fall eine „Paradigmenverschiebung“ bedeutet. Nationale Gerichtsbarkeiten greifen dort ein, wo internationale Gremien stagnieren. Mit diesem Ansatz werde Recht durchsetzbarer, auch wenn internationale Normen durch nationale Systeme interpretiert werden.
Norway and Germany have agreed on a joint project to supply air defense systems to Ukraine.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) July 22, 2025
As soon as there is confirmation from the United States that they will let Germany replace the Patriot system, then it can be sent to Ukraine, with Norway participating in the funding of… pic.twitter.com/YfmaTtlMbD
Anton Gerashchenko, Sicherheits- und Rechtsexperte, ergänzte in einem Interview, dass europäische Rechtsordnungen zunehmend eigene Normen durchsetzbar machen, ohne multinationale Instanzen abzuwarten.
Digitalisierung und Transparenz führen zu juristischer Nachvollziehbarkeit
Digitale Beweisführung setzt neue Maßstäbe: Offene Medieninhalte ermöglichen NGOs und Gerichten, Kriegsverbrechen zu dokumentieren und anzuklagen. Der Fall in Belgien zeigt, dass Personendaten und Aktionen in sozialen Netzwerken zunehmend gerichtliche Konsequenzen haben.
Wandel im internationalen Recht – längst geöffnetes Spielfeld
Obwohl die beiden Israelis nach der Befragung freigelassen wurden, bleibt das Verfahren aktiv. Das Signal ist klar: Militärisches Handeln im Ausland wird zunehmend juristisch überprüfbar – und Staaten müssen sich darauf einstellen.
Mit jedem weiteren Fall weicht die Grenze zwischen Kriegshandeln und Gerichtsbarkeit auf. Nationale Institutionen formulieren das Völkerrecht neu und verschieben global anerkannte Handlungsräume. Wie diese Entwicklung weitergeht, bleibt eine offene Frage – in der Tat klingt sie nach dem Auftakt zu einer neuen juristischen Ära.