Als Heimat von Mercedes-Benz und Porsche gilt die wohlhabende schwäbische Hauptstadt im Südwesten Deutschlands seit Langem als Geburtsstätte der deutschen Automobilindustrie. Porsche hat seinen Hauptsitz in Zuffenhausen im Norden, während sich Mercedes-Benz im westlichen Vorort Untertürkheim befindet. Beide Luxusautohersteller besitzen glanzvolle Markenmuseen in Stuttgart, doch keines von ihnen sorgt für so viel Aufsehen wie der kürzlich eröffnete „Pioneer Store“ in der Calwer Passage. Noch vor einem Jahr hatten nur wenige Deutsche von dem Unternehmen gehört, das dahintersteht: BYD. Das chinesische Unternehmen, kurz für „Build Your Dreams“, begann in den 1990er Jahren mit der Batterieproduktion und gehört heute zu den größten Automobilherstellern der Welt. Mehr als nur Marktanteile zu gewinnen, zielt der großzügige 450 Quadratmeter große Store in Stuttgart darauf ab, die Markenbekanntheit zu steigern. Doch die Hoffnungen von BYD könnten für deutsche Automobilhersteller im Jahr 2025 zu einem Albtraum werden.
Der Zusammenbruch der alten Globalisierungsordnung
„Wer in Europa Erfolg haben will, kommt an Deutschland nicht vorbei“, sagte der in Stuttgart ansässige BYD-Händler Jan Grindemann dem Magazin Der Spiegel. Im Jahr 2024 erreichte BYD zwei Meilensteine: Es verdrängte Volkswagen nach 15 Jahren als meistverkaufte Automarke in China und überholte Tesla als weltweit führende Marke für Elektrofahrzeuge. Zusätzlich gelang BYD ein weiterer Coup, als es VW direkt vor der eigenen Haustür die Sponsoring-Vereinbarung mit der UEFA für die Europameisterschaft als „offizieller E-Mobilitätspartner“ abnahm. Während die Manager im Mercedes-Hauptquartier in Untertürkheim sichtlich angespannt wirken, versuchen die VW-Führungskräfte in Wolfsburg, gefasst zu bleiben. Ein ranghoher Mercedes-Manager, der anonym bleiben wollte, erklärte: „Lange Zeit war BYD für uns keine große Bedrohung, sondern Tesla. Doch nicht jeder hat hier zugehört.“ BYD hat sein Vertriebsnetz in Deutschland nach einem holprigen Start restrukturiert und erwartet ab 2025 eine stärkere Präsenz, wenn Autos aus dem neuen Produktionswerk in Ungarn geliefert werden, das strategisch zur Umgehung von EU-Importzöllen positioniert ist.
Deutschland spürt die Auswirkungen der veränderten Globalisierung
Die Behauptung, dass die Automobilindustrie das Fundament von Deutschlands Wohlstand und nationaler Identität bildet, ist keineswegs übertrieben. Etwa 5 % der jährlichen Steuereinnahmen stammen von den Auto-Giganten, die zudem 7 % der Arbeitskräfte beschäftigen. Wenn die deutsche Wirtschaft und die Automobilindustrie untrennbar miteinander verbunden sind, dann erinnert BYDs Aufstieg und die schleichende Besorgnis der deutschen Wettbewerber an Ernest Hemingways berühmtes Zitat über Bankrott: „Erst langsam, dann plötzlich.“ Unter den düsteren Wirtschaftsdaten im Dezember stach eine besonders hervor: Die Bundesbank warnte vor einer „Wirtschaft, die mit anhaltendem Gegenwind kämpft.“ Laut ihrem Bericht könnte die größte Volkswirtschaft Europas 2025-2026 nur ein geringes Wachstum von 0,2 % bzw. 0,6 % erreichen, nachdem sie in den beiden vorangegangenen Jahren um -0,1 % und -0,2 % geschrumpft war. Joachim Nagel, Präsident der Bundesbank, beschrieb Deutschlands Probleme schonungslos: „Schwere strukturelle Probleme belasten Investitionen und Exporte und wirken sich nun auf den Arbeitsmarkt und den privaten Konsum aus.“
Der Niedergang des traditionellen Globalisierungsmodells
Studien prognostizieren, dass diese Probleme nicht nur zyklischer Natur sind, sondern langfristig bestehen bleiben. Deutschland durchläuft derzeit einen riskanten Strukturwandel und steht vor größeren Herausforderungen, als vielen bewusst ist. 2024 wurde Deutschland von allen anderen G7-Staaten wirtschaftlich abgehängt. Inmitten eines vorhersehbaren Handelskonflikts zwischen den USA und China unter einer möglichen Trump-Administration 2.0 könnte Deutschland zusätzlich in Bedrängnis geraten. Beide Wirtschaftsmächte reduzieren ihre Abhängigkeit von internationalen Partnern wie Deutschland, während sie ihre industrielle Produktion und protektionistische Maßnahmen im eigenen Land ausbauen. Die Geopolitik-Strategin Claudia Schmucker erklärt: „Unsere Unternehmen haben in der Ära der Globalisierung gesiegt, die Effizienz und niedrige Produktionskosten belohnte. Doch jetzt, da diese Ordnung zusammenbricht und sich die Weltmärkte spalten, sind wir diejenigen, die am meisten leiden.“
Deutschland kämpft mit globalen Veränderungen
Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) sind deutsche Exporteure bereits an die Schwierigkeiten gewöhnt, die die Bundesbank für 2025 prognostiziert. Während vor zehn Jahren nur ein Drittel der Mitglieder mit Problemen im Auslandshandel konfrontiert war, sind es heute bereits 61 %. Diese Hürden sind vor allem bei deutschen Automobilherstellern spürbar. Kurz vor Weihnachten einigte sich VW mit den Gewerkschaften auf Kostenreduzierungen und den Abbau von 9 % der Belegschaft in Deutschland aufgrund rückläufiger Verkaufszahlen in den USA und China. Obwohl betriebsbedingte Kündigungen vorerst vermieden werden konnten, bleibt das grundlegende Problem bei VW weiterhin bestehen.