Deutsche Politiker reden hart, handeln aber kaum

Deutsche Politiker reden hart, handeln aber kaum

Vor einer Woche schworen die Spitzenpolitiker der wichtigsten Parteien in Deutschland, einen fairen Wahlkampf für die Neuwahl am 23. Februar zu führen. Diese Wahl war nötig geworden, nachdem die Dreierkoalition letzten Monat vorzeitig zerbrach. Doch schon wenige Tage später zerfleischten sich die Politiker gegenseitig. Obwohl das absehbar war, kam es dennoch schockierend. Christian Lindner von der Freien Demokratischen Partei (FDP) wurde von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch kurz nach 20:30 Uhr entlassen, nachdem die Verhandlungen zur Rettung der ungeliebten Dreierkoalition gescheitert waren.

Politische Schlüsselfragen

Lindners erzwungener Rücktritt schwächte die fragile Koalition von Scholz, machte ihn zum „lahmen Enten“-Kanzler und die Regierung zu einer Minderheit. Dies löste eine Runde von Anschuldigungen und Schuldzuweisungen aus. Scholz trat vor die Presse und griff den Charakter seines ehemaligen Kollegen an. Seine vorbereitete Rede überraschte viele Beobachter. Für Scholz schien dieser Ausbruch befreiend zu wirken; bei einem späteren Treffen erhielt er dafür stehenden Applaus von SPD-Abgeordneten. Doch die chaotische Auflösung der Koalition deckte tiefsitzende Probleme in der konsensorientierten Politik Deutschlands auf. Für die anstehenden Neuwahlen Anfang nächsten Jahres verheißt dies nichts Gutes. Eine Regierung, die voller Versprechen startete, stürzte vergangene Woche spektakulär ab. Vor drei Jahren wurde die sogenannte Ampelkoalition aus SPD (rot), FDP (gelb) und Grünen gegründet. Doch der Ukraine-Krieg offenbarte schnell die Schwächen des strategischen Konsenses.

Wirtschaftliche Herausforderungen

Während Berlin die jüngsten politischen Turbulenzen noch verarbeitet, verschärfen sich die Probleme weiter. Die deutsche Wirtschaft, einst Maßstab für Europas Wohlstand, schwächelt. Inflation untergräbt das Vertrauen in die Politik. Die Infrastruktur, besonders die Bahn, ist in wenigen Jahren von einem Vorzeigemodell zu einem Witz verkommen. Digitalisierung bleibt ein Zukunftsversprechen. Profiteur dieser Lage ist die rechtsextreme AfD, die bei drei Landtagswahlen im September große Erfolge erzielte. Dass eine rechtsextreme Partei in Deutschland an Einfluss gewinnt, hat eine besonders beunruhigende Bedeutung. Doch Deutschland entkommt dem gesamteuropäischen Trend nicht.

Reaktion der Öffentlichkeit

In allen großen europäischen Ländern wie Polen, Frankreich, Italien, dem Vereinigten Königreich, Spanien und den Niederlanden war die extreme Rechte in den letzten zwei Jahren ein wichtiges Wahlkampfthema. Die Ergebnisse zeigen eine klare Spaltung zwischen traditionellen Parteien und rechtspopulistischen Kräften. Deutschland erlebte dies bei den Wahlen im September in den östlichen Bundesländern, wo die extreme Rechte besonders stark ist. Hier lief alles auf „Rechts gegen den Rest“ hinaus. In Brandenburg gaben 75% der SPD-Wähler an, ihre Wahl sei eher von der Ablehnung anderer Parteien als von echter Überzeugung motiviert. Die SPD und die CDU müssen nun mit Parteien verhandeln, die völlig andere Werte vertreten. Die Politik steckt im Chaos.

Globale Erwartungen

Die Lage in Ostdeutschland deutet auf eine unruhige Zukunft hin, in der Parteibindungen schwinden und neue Parteien auftauchen. Die großen Parteien stehen unter Druck, ihre politischen Tabus zu überdenken. Gleichzeitig verhindern zerbrechliche Koalitionen effektives Regieren und nähren die Vorstellung, dass „alle Parteien gleich“ seien. Die politische Landschaft wird zunehmend düster und begrenzt.